ZaunköniG         Die Brücke unterm Krähenbaum

 

Drei Erzählungen, mit 4 farbigen Illustrationen, 100 Seiten                    5,90 Euro

Vorzugsausgabe in Leinen mit 4 Original-Linoldrucken        12,90 Euro

 

 

ZaunköniG, Jahrgang 1972 ist lebhaft in Burgdorf. Er ist gelernter Florist. ZaunköniG war 1993 - 2001 Herausgeber der Literaturzeitschrift Vogelfrei und gibt noch die Edition Elf heraus, Er veranstaltet Lesungen für den Kulturverein Scena in Burgdorf. ZaunköniG gründete das Sonett-Archiv, arbeitet literarisch, grafisch und für seinen Lebensunterhalt.

 

 

 

 

 

  

Die Brücke unterm Krähenbaum

(Auszug)

 

 ls wären wir verabredet, trafen wir uns an der Ausfallstraße, etwa achthundert Meter hinter dem Ortsschild, dort wo sonst die Campingbusse stehen, aus denen sommerlich gekleidete Frauen den Feierabendverkehr begrüßten und scheinbar  nicht mehr zu tun hatten als den Tag zu genießen,  Es wurde früh dunkel um diese Zeit, denn es ging schon auf Winter zu, doch heute war es noch einmal warm und es schien ein prächtiges Abendrot zu geben. Nur deshalb hielt ich an dem Forstweg an,  und ich genoß schon im Voraus die Vorstellung,  die sich durch den spärlichen Waldrand entlang der Bundesstraße über der Stadt bieten würde. In Fuhramtsorange bot sich der Himmel an, wechselte in Backsteinrot  und  trübte sich  weiter ein. Nicht ganz das was ich mir vorgestellt  hatte.

Als ich mich entschloß luftzuholen zwischendurch, saß sie  schon neben mir, auf  dem Beifahrersitz. Es war das erste Mal,  daß wir uns im Freien trafen,  aber das war normal: Es passiert immer irgendwas zum ersten Mal, wenn sie mich besuchen kommt.

„Es gibt doch viel schönere Stellen im Wald.",  klang in ihrer Stimme mit, als sie mich fragte

warum ich ausgerechnet hier, am Straßenrand, stand. Ausgerechnet hatte ich das nicht, also ließ ich den Wagen stehen und Hand in Hand gingen wir in  die beginnende  Nacht. Anders hätten wir uns sicher wieder verloren im Dunkel; Sie macht keine Geräusche mit ihrem Tritt.

Der See lag seicht und leise.  Nur sehen konnte man ihn kaum.  Schief steht sie am Ufer,  vornüber in den Mantel gelehnt.  "Erinnerst Du dich?" fragt sie und  deutet auf die Lichtgestalten die wohl auf der schwarzen Wasserfläche wohnten. "Du warst schon sehr oft hier." Ich nickte kurz in mich,  was sie nicht sehen konnte,  doch ihre Lichtgestalten erkenne ich nicht. Nur die Sterne tanzen auf den Wellen; Der große Bär steht grad auf dem See. Ein Karpfen schwimmt an der Wasseroberfläche und schwemmt  unablässig Fragezeichen an Land.   Dieser See war Ziel  der Wandertage. Hitzige Plagen wühlten durchs Holz, haben sich mit Kletten beworfen und versuchten

Quaulquappen zu fangen. Aber das ist lange her und das wird Crissa nicht meinen. Ich  glaube selbst nicht mehr recht, ob ich damals wirklich dabei war.  Erst  die letzten Monate komme ich wieder öfter,  aber bis heute immer allein.  Das kann sie nicht wissen und sie wechselt auch schon wieder das Thema. „Was  verschlägt  dich denn heute hierher?" „Ich weiß nicht", sag ich, "Ich bin gerade dabei es herauszufinden." „Aber Du brauchst einen Grund, plötzlich an die Seite zu fahren und in den Himmel zu schauen; Oder mindestens einen Anlaß."„Nein, ich habe einfach die Zeit. Zuhause wartet niemand auf mich - aber das ist doch sicher kein Grund." Es  ist  sehr schnell kalt geworden als die Sonne verschwand.  Crissa  stellt  den Kragen hoch,  dreht  sich drei Schritte im Kreis und nickt  zweimal  nach allen Seiten.  Kann man sowas gelten lassen?  Ist das schon ein guter Grund?" Sie  ging nicht  mehr näher darauf ein, aber auf mich zu, setzte sich zu mir auf den Stoß Holz,  griff in ihre Manteltasche und es kam ein Apfel zum Vorschein.  Sie bot mir eine  Hälfte an, als  sie ihn noch grob im Mantelfutter reinrieb, doch meine zustimmende Geste verstand sie nur halb. 

 

ch ein Messer - rutschte es mir durch den Kopf,  als sie eben dieses zur Hand nahm und die Frucht in zwei annähernd gleiche Teile schnitt. „Die ist auch auf alles vorbereitet",  brachte ich meinen Gedanken zuende und nur zu gerne hätte ich von ihrer Hälfte gebissen,  doch  ich sagte nichts dergleichen,  bedankte mich artig und bat sie nur um eine Geschichte.

„Deswegen sind wir nicht hier",  bekam ich zur Antwort und bat  mich ihrerseits anzufangen, dabei habe ich nichts zu erzählen, was ich dann auch behauptet habe. Crissa blieb hart. "Du hast sehr viel zu erzahlen",  bestand sie auf ihrem Punkt, so gut kenne sie mich. „Aber meine Geschichten",  war mein letzter Abwehrversuch, „sind doch alle nur gelogen, sind wahrgeträumt oder ganz frei erfunden." Sie reagierte überhaupt nicht auf meinen Einwand, sah mich weiter erwartungsvoll  an.  Manchmal ist sie echt seltsam und ich frage mich, ob sie mich nicht schon eingeholt hat.

Ich  wollte  schon  wieder  zurück zum Wagen, nicht um  mich  einem  Gespräch  zu entziehen, ich habe kein Geheimnis vor Crissa, es ist vielmehr nichts zu erzählen, sondern weil mir schon kalt war,  doch obwohl sie sich selbst  immer weiter  in ihren Mantel zurückzog gebot sie mir, noch zu bleiben. Wir einigten uns auf einen Spaziergang in die andere Richtung,  auf die andere Seite des Sees. Der Weg dauert normalerweise keine 10 Minuten, doch man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Wir hatten es auch nicht eilig, gingen den Weg nur um nicht zu sitzen und hörten die Geräusche der Stille.  Wie der Sand knirschte unter den Füßen,  das Laub knisterte oder ein schlafender Vogel aufgeschreckt wird und mit  hektischen Flügelschlägen überstürzt aus unserer Gegenwart floh. Alles hat seinen Platz und jeder Windhauch weht neue Bilder herüber.  Crissa hatte sich bei mir eingehakt und suchte den Weg. Ich  ließ  mich  mitgehen  und schonte die Augen,  die  sich  bald  eigene  Bilder erdachten.  Der Weg  interessierte nicht mehr.  Ich war schon weiter mit  meinen Gedanken, oder sehr lange zurück, was keinen Unterschied macht.

 

er See ist seicht und schlammig, was uns nicht abhielt, im Sommer darin zu baden. Im  Herbst fallen Unmengen Laub auf den Grund und modern,  daß im Winter manchmal Fische unter der Eisdecke erstickten. Neuerdings auch über Sommer, in den heißen Tagen, aber das ist eine andere Geschichte. Nichts rührt sich im Wasser; kein Wind wirbelt unter das Eis und langsam legen sich die Trübstoffe ins Sediment. Das Wasser ist wieder klar, wenn das Eis geht. Im Schilfgürtel wippen vereinzelt Karpfen und Schleien, seitlings,  Flossen und Bauch angefressen.  Fadenalgen besiedeln sie längs an den Schuppen und aus dem offenen Bauch fasert das Fleisch. Ich dachte sie würden mir in den Fingern zerfallen,  noch bevor sie aus dem Wasser sind, doch die Haut erwies sich als erstaunlich zäh,  auch wenn sich das  innere teilweise löste und sich wie ein Schuß Milch im Kaffee verteilte.  Ich dachte mir nichts weiter dabei, und an sich ist es nichts besonderes,  doch diese Bilder bleiben unlösbar verbunden mit einem anderen, das hier am anderen Ufer entstand, an einem anderen Tag:

Wir erreichen gleich die Stelle. Es hat sich nichts geändert seit dem. Auf etwa dreißig Metern tritt das Nordufer aus dem Wald heraus. Es können auch fünfzig oder sechzig sein, zählt man die niedrigen Hölzer nicht mehr zum Wald. Dahinter stand der Winterweizen. Ab und zu wachsen dort Rüben, einmal auch Mais,  aber sonst ändert sich nichts. Ab einem gewissen Alter wachsen die Bäume nicht mehr, oder ich sie zu oft. Eine kleine Brücke mit Rundholzgeländer führt über den Bach, der hier den See verläßt.

Mit einem Bach verbinde ich klares Wasser das sprudelnd und glucksend über glatte Steine springt, umsäumt mit verschiedenstem Grün. Libellen stehen lautlos darüber. Ein Bach ist eigentlich das falsche Wort,  doch Kanal mag ich noch weniger, obwohl es  sachlich  richtiger wäre. Rostiger Schlamm liegt auf  den  Platten,  die  das Rinnsal nach unten versiegeln.  Brennesseln und Sauerampfer wagen sich von außen zum Rand. Auch ist  die Brücke keine wirkliche, vielmehr wird hier der Weg getunnelt, aber das Geländer war wirklich aus Holz und ist es noch heute. Eine alte Pappel steht, dort im Abseits, Krähen tummeln sich hier, überschauen das Feld.  Dahinter  liegt  schon  der Stadtrand. Wir  begannen  unsere  Expeditionen meistens von hier.  Wir sprangen quer über den Acker, kreuzten zwei Entwässerungsgräben und waren schneller am See,  als man es mit dem Auto ans Südufer schafft.

Wir haben Frösche gefangen oder nach goldenen Schätzen gesucht, wir kamen in Gruppen und oft war ich allein hier,  habe meine Beine baumeln lassen und auf das Wasser gestarrt. Wenn ich alleine kam, dann meistens weil zuhause dicke Luft war. Sie haben recht, ich schweife ab. Zurück zu den Fischen:

 

s war Februar oder März,  das Eis war getaut und der See  lag offen und klar, zumindest die obere Schicht.  Mit Gummi bestiefelt watete ich so durchs Schilf

des ersten Ufermeters und zog an langen Weidenruten tote Fische an Land. Die Neugier war größer als Ekel, bis ich jene Brücke am Krähenbaum erreichte, wo mir zwei verquollene Augen direkt ins Gesicht sahen, oder hindurch.  Grau schimmerte das Fleisch durch die glasige Haut. Die Mundwinkel von Fischen zerfressen, war der Körper sonst unversehrt. Die rostige Farbe des Grundes hing in den Haaren. 

 

Ich blieb nicht lange an diesem Ort, und es ist mir bis heute ein Rätsel, wie ich mir in der kurzen Zeit so viele Details merken konnte, daß ich heute, nach etlichen Jahren so genau berichten kann. Das Gesicht erinnert mich immer an Crissa, aber das hört sie nicht gern, und das ist auch nicht fair; Crissa hat viele Gesichter, und die meisten sind schöner als dieses.

Das Gesicht aus dem See sah nicht wirklich schlecht aus,  nur war es eben ein totes Gesicht. Mich stören keine Falten, kleinere Narben, oder was man sich an

Makel noch denken kann. Die Vergänglichkeit macht das Leben erst wertvoll. Aber was passiert, wenn aus Vergänglichem Vergangenes wird? Ich verbinde keine Gefühle mehr mit dem Wassergesicht, obwohl mich das Bild mit allen Einzelheiten verfolgt.

 

ber das ist nur ein Beispiel von vielen, nehmen sie dieses Bild nicht zu wichtig, es ist zu klein,  nein, zu isoliert um von ihm auf mich zu schließen. Es erscheint vielleicht paradox, wenn ich mich in den verschiedensten Situationen,  so auch heute  an diese Bilder erinnere,  dann aber sage ich es hat kaum Bedeutung für mich.

Damals hat es mich sehr bewegt,  aber wie sich aufgewühltes Wasser wieder  legt, wenn die unmittelbare Störung vorbei ist, so hat sich mein Gefühl für diese Frau wieder gelegt. Schon bald überwog wieder die Neugier. Ich wollte dieses Bild nicht vergessen.  Ich hatte den Eindruck es birgt ein Geheimnis für mich, und so verband ich  alles  was  in dieser Zeit passierte, oder auch nur die  oberflächlichste Ähnlichkeit hatte, mit diesem Gesicht, denn wenn man ein Ereignis nicht  vergessen will  muß man es mit anderen verknüpfen. Und so erinnere ich mich, wenn ich  einen   Raben sehe, an einem See spazieren gehe, oder Fischsuppe esse.  Doch diese Bilder sind leer, ohne jede Empfindung.  Vielleicht hilft mir Crissa da weiter, denn ihr Bild ist neu, neu in diesem Zusammenhang und ohne sie wäre ich wohl auch nicht so bald an den Originalschauplatz zurückgekehrt.

 

    ZaunköniG

 

 

Außerdem von ZaunköniG erschienen:

 

Vogelfrei-Anthologie (Hrgb.)  bei Rabenrat, Hannover                                                             5,00 Euro

Bevor Du mich zum Alltag weckst, Drei Sonettenkränze in der Edition Elf                             5,90 Euro  Ausverkauft

Zinnoberrauschen, Gedichte  bei Edition Thaleia, St. Ingbert                                   9,00 Euro

Die Brücke unterm Krähenbaum, Erzählungen  in der Edition Elf                                 5,90 / 12,90 Euro

Adam Mickiewicz: Krim-Sonette (Übersetzer), Edition Elf                                        12,90 Euro

Aber echt ist, Eigene und übersetzte Sonette, bei Edition Thaleia, St. Ingbert             13,00 Euro

                         

 

Alle Titel sind auch über die Edition Elf erhältlich

 

         

 

 

 

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